Course No.: 848106-1

Teaching: Christoph Opperer und Gilbert Sommer

Espace Autre | Construction autre

Der andere Raum | Die andere Konstruktion

In diesem Semester widmet sich das Institut für experimentelle Architektur.Hochbau der Suche nach dem anderen Raum und der anderen Konstruktion.

‘Espace Autre’ ist ein von Foucault in seinen frühen Schriften geprägter Begriff. Er verweist auf einen Raum, der eine andere Zeitlichkeit und Befindlichkeit hat als der uns in der Alltäglichkeit umgebende Raum. Welches sind mögliche Qualitäten eines Raumes, damit er uns – herausgenommen aus dem Alltag – aus bekannten Raumbenützungen befreien und in eine andere Zeitlichkeit und Räumlichkeit versetzen kann?

Antworten suchen wir in unterschiedlichen Aufgabenstellungen über den differenzierten Umgang mit dem Raum und seinen Qualitäten. Dies schließt den Raum selbst ein, seine innere Struktur, Materialität, Oberflächen und Konstruktionen, aber auch seine Immaterialität und Zeitlichkeit.

In diesem Semester widmen wir uns dem (Nicht)Zusammenhang zweier gegensätzlicher „raumcharakterlicher“ Strukturen/Konfigurationen/Entitäten. „Charakter(lich)“ als Begriff und emotionale Zuschreibung bezieht sich dabei nicht die Beschreibung eines Menschen, bzw. einer Person. Vielmehr steht diese Zuschreibung für eine räumlich, strukturelle Beschreibung einer charakterlichen Architektur.

Welche zeitgemäßen Antworten hat die Architektur auf der Suche nach dem anderen Raum? Wie lösen sich Räume von der Zentralperspektive, von einer eingeschriebenen Hierarchie des Innen und Außen, der Anthropozentrie, und behaupten sich als Agenten in ihrer Rolle im komplexen Wechselspiel mit dem Menschen und mit ihren vielfältigen Umwelten?

Einheit in Vielfalt

Über das Verhandeln von Gegensätzen

848106-1 Entwerfen E1: Christoph Opperer | Gilbert Sommer

Thema

Wir spielen bewusst mit Verirrung und Verwirrung mit Verhandlung und Verwandlung – begrifflich und räumlich. Vor allem aber wollen wir vermitteln. Vermitteln von Gegensätzen, von Dualismen – analog/digital, intuitiv/systematisch, theoretisch/praktisch.

Unterschiedliche „Raum- und Architekturcharaktere“ werden zueinander in Beziehung gebracht und in ihrer Verhandlung zu etwas Neuem verwandelt. Charakterzüge wie cholerisch, hysterisch, phlegmatisch, neurotisch, chaotisch, quirlig, etc. werden üblicherweise Personen zugeschrieben. Was aber, wenn wir diese Zuschreibungen auf Architektur/Gebäude/Raumstrukturen anwenden? Wie sieht also ein cholerischer Raum, ein phlegmatisches Haus, eine neurotische Raumstruktur aus? Und wie sehen Räume nach ihrer VerhandlungsWandlung zueinander aus?

Räume und Architekturen bekommen charakterliche Eigenschaften/Attribute zu- und eingeschrieben. Im invers-allegorischen* Sinn wird also das uneigentlich Beschriebene zum eigentlich Gemeinten.

*Definition Allegorie: Darstellung eines eigentlich gemeinten Komplexes durch uneigentlich Gesagtes, das mit diesem in einer Ähnlichkeits- oder Analogiebeziehung steht.

Gegensätze, die wir nicht als Nachteil sehen, sondern in ihrer wechselseitigen Verhandlung als produktive Inspirationsgrundlage nutzen wollen, um mit eingespielten (Denk)Mustern, Vorstellungen und Konventionen zu brechen. Dadurch wollen wir neue Möglichkeiten und Perspektiven im Entwurfsprozess eröffnen.

Im Mittelpunkt der Entwurfsaufgabe steht der Raum!

Raum als ursprünglichstes Medium der Architektur muss mehr sein als nur die Erfüllung einer konkreten

funktionalen, programmatischen und/oder formalen Vorgabe, die sich inhaltlich in normierten Anforderungen

erschöpft. Vielmehr geht es uns um die Entwicklung (raum)konzeptioneller Ideen und in weiterer Folge darum, wie sich diese Konzepte übersetzen und schließlich materialisieren lassen. Im Zentrum stehen dabei die materiellen und immateriellen Qualitäten von Raum. Jene Qualitäten also, die sich der naturwissenschaftlichen Beschreibung in Länge/Breite/Höhe entziehen und sich weder konkret messen noch festmachen lassen. Gerade deshalb machen sie den Kern der Mensch‐Raum‐Beziehung aus.

Ziel

Ziel des Semesters ist der Entwurf einer architektonischen, raumbildenden (Gebäude)Struktur.

Diese entsteht auf Grundlage erster intuitiver Studienmodelle und einer daraus abgeleiteten und konsequent entwickelten konzeptionellen Entwurfsidee, die als konkretes gebäudeartiges Raum-Gefüge/Gebilde im Sinne eines prototypischen Hauses mittlerer Größe (200-400 m²) übersetzt werden soll. Ein konkreter Ort ist dafür (vorerst) nicht vorgesehen, die Erfüllung grundlegender funktionaler, programmatischer und architektonischer Anforderungen hinsichtlich der Benützung (durch den Menschen) jedoch unerlässlich. Intuitiv entwickelte und zufällig gefundene Strukturen müssen im Laufe des Semesters in ein konstruktiv wirksames, strukturell schlüssiges und architektonisch relevantes Projekt übersetzt werden. Architektonische Darstellungen in Form von Grundrissen, Schnitten und Diagrammen, sowie physische Modelle und gegebenenfalls Visualisierungen werden am Ende des Semesters erwartet.

Methode

In der vollen Welt, in der wir uns heute befinden, entwickeln wir diese anderen Räume aber nicht aus dem Nichts, sondern beginnen mit der Umdeutung dessen was ist. Dabei bauen wir auf bereits existierende Architektur(en) auf. Konzeptionell und räumlich-strukturell werden wir uns im gesamten Entwurfsprojekt darauf (rück)beziehen.

Wir arbeiten iterativ und multi-medial. Einzelne Übungen und Experimente bedienen sich unterschiedlicher analoger und digitaler Arbeitsumgebungen, um die gesuchten, räumlichen und zeitlichen Qualitäten des zu entwerfenden Raumes zu erkunden. Dies sind analoge und digitale Modelle, Texte, virtuelle Umgebungen, Data Simulationen, soziale Medien, Photographie, Video, Skizzen, Zeichnungen u.a. Darstellungen. Im Vordergrund der Entwurfsmethodik steht das konsequente, intensive und parallele Erarbeiten verschiedener Entwurfsvarianten mittels oben genannter Methoden.

In der frühen Entwurfsphase geht es dabei um ein zwangloses freies Experimentieren und interpretatives Arbeiten, um möglichst unterschiedlicher Zugänge zu ermöglichen. Die anfangs möglicherweise unzusammenhängend erscheinenden Arbeitsfragmente untersuchen Teilaspekte der zukünftigen Architektur und werden schlussendlich in eine kohärente Architektur übersetzt und zusammengeführt, in der Erwartung, dass diese ihrerseits vielschichtig und differenziert und dadurch offen für unterschiedliche Lesarten sein wird.

“In Zeiten, wo die Kräfte des Niedergangs vorherrschen, geht es um den ganzen Menschen. Er sollte nicht mit dem Strom schwimmen, aber auch nicht dagegen, sondern er sollte Neuland schaffen, in sich selbst und für seine Umgebung.” (Rudolf Steiner)

Literatur

Michel Foucault: Andere Räume (1967)

Gaston Bachelard: Poetik des Raumes

Peter Eisenman: Aura und Exzess / Zur Überwindung der Metaphysik der Architektur

Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart

Organisation

Die Arbeiten erfolgen zu Semesterbeginn individuell, werden aber später in 2-er Gruppen gemeinsam fortgesetzt und weiterentwickelt. Dies soll zu einem intensiven Austausch zwischen den einzelnen Teilnehmer:innen untereinander, als auch innerhalb der Entwurfsbetreuung führen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht so sehr auf individuellem Feedback zu einzelnen Arbeiten, sondern auf der Diskussion des Themas an sich, der Bandbreite von Lösungen und Themen, die allen Arbeiten gemeinsam sind (Modellbau, Darstellung, …).

Der Methode des Studios gemäß, wird Teamarbeit als eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema Dialog/Wechselwirkung gesehen. Teams werden anhand sich komplementierender Charakteristika zusammengesetzt; eine verstärkende Wirkung wird erwartet.

Das Studio trifft sich jeden Donnerstag. Individuelle Korrekturzeiten – physisch oder virtuell – werden zu Beginn des Semesters bekannt gegeben und wöchentlich aktualisiert.


E1: LFUonline